44. Der Charakter kommt uns immer in die Quere - Teil 3 - Blick in meine Zukunft

Steinkohlekraftwerk bei Wilhelmshafen, dessen

Schornsteinspitze die Sonne verdeckt und eine

Korona erzeugt, die wie ein 'Heiligenschein'  wirkt. 

In den beiden vorangegangenen Kapiteln habe ich versucht, die eigene vergangene Lebensgeschichte nicht nur als rein individuelles Zufallsprodukt eines chaotischen Weltgeschehens, nicht als absolutes Resultat von gegebenen gesellschaftlichen Umständen und auch nicht als pures Ergebnis eines eigenen schöpferischen Egos zu betrachten. 

Vielmehr ging es darum, gewachsenes, altes Menschheitswissen jenseits der naturwissenschaftlichen 'Gewissheiten' zu Hilfe zu nehmen, um mich mit der eigenen Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Es ging darum, nicht empirisch zu belegendes Material aus dem Bereich der alten Menschheitsweisheiten zu Hilfe zu nehmen, um Lebenswege und -resultate nicht so zufällig erscheinen zu lassen, wie das leicht im Alltag erscheinen kann. Auch der gesellschaftliche Kontext sollte hier nicht als entscheidend herangezogen werden. Ebenso ging es nicht darum, ein 'starker' Gewinner oder ein 'schwacher' Verlierer zu sein - Kategorien, mit denen unsere Leistungsgesellschaft zur Bestärkung einer Verdrängungs-Konkurrenz gerne arbeitet, um ihre tendenziell kriegerische Struktur als scheinbar naturgegeben zu rechtfertigen.

 

Es liegt nun nahe, mit dem gleichen Material alten Menschheitswissens auch einen Blick in die eigene Entwicklungszukunft zu wagen: Zwar lessen sich keine wirklich sicheren Aussagen treffen, doch so wie sich grundlegende Tendenzen, Haltungen, Einstellungen und Herangehensweisen im Hinblick auf meine Vergangenheit aufzeigen ließen, die zu brauchbaren Ergebnissen führten, so sollte es auch möglich sein, mit diesem Material einen Blick auf meine verbleibende Lebenszeit zu wagen.

 

Das Leben wird in alten Menschheitsweisheiten nicht vorrangig als eine Art von geradliniger oder auch welliger Entwicklungslinie in eine bestimmte Richtung dargestellt - dabei herrscht eher das Bild eines Lebenskreises vor

Das Leben beginnt 'unten' in der Mitte. Es steigt an der Kreislinie auf bis zum oberen Hochpunkt und steigt dann auf der anderen Seite wieder hinab bis hin zum Lebensende, an dem sich der Lebenskreis schließt.

 

 

Möwen an der Nordseeküste - in Erwartung leichten Futters durch Touristen

 

Im Grunde benötigt dieser Artikelteil zwei Inhalte:

1. meine aktuelle Situation als Ausgangspunkt für die Zukunftsbetrachtungen,

2. davon ausgehend der Blick in meine verbleibende Lebenszukunft.

 

MEINE AKTUELLE LEBENSSITUATION

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Ich bin aktuell 67,5 Jahre alt - habe rein statistisch noch 11,1 Jahre zu leben. So die nackten Durchschnittsdaten.  Doch was bedeuten die wirklich? Sagt nicht viel mehr aus, was ich vielleicht noch in und von diesem Leben erwarte - was es für mich noch an Sinn und Bedeutung hat?

Mein Alltag spielt sich weitgehend außerhalb der Welt professionellen Wirkens ab, da ich keine offizielle berufliche Position mehr bekleide. Aus der Sicht der Organisatoren unseres Wirtschaftslebens bin ich 'nur' noch 'Verbraucher' - so bin ich noch aus deren Sicht 'nützlich'.

Ich lebe im Rahmen einer Sippe, innerhalb derer es regelmäßige, lebendige Kontakte gibt, die auch einen verbindlichen, persönlichen Inhalt haben. Insofern habe ich Bindung, Zugehörigkeit und Bedeutung nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere.

Neben dem familiären Umfeld betätige ich mich auch noch aktiv im Tischtennis-Wettkampfsport einschließlich Training, was regelmäßiges Training und Organisation von Wettkampfmannschaften und -terminen mit sich bringt - außerdem eine zu pflegende Grundeinstellung zu sich selbst wie auch zu den vorgegebenen Strukturen, innerhalb derer sich dieser Sport vollzieht.

Was betreibe ich dort und wozu?  Es geht mir dabei  nicht zentral ums Gewinnen, obwohl es darin eine wesentliche Bedeutung hat. Ich sehe zentral eine Art von Kräftemessen einerseits und meine Selbstorganisation im Rahmen der vorgegebenen Bedingungen dieser Sportart. Das gilt sowohl fürs Training wie auch für den Wettkampf. Ich habe ständig eine Anpassung an Material und Trainingspartner/Wettkampfgegner zu betreiben, wobei ich ein Optimum für mich und meine Spielergebnisse anstrebe. Kluger Spieleinsatz mit Kopf und Herz sind dabei Trumpf für mich. Ich quäle mich nicht, aber der persönliche Einsatz ist hoch. Ich betreibe das intensiv seit 29 Jahren, wobei das zu Beginn auch zu meiner Unfall-Rehabilitation gehörte. Heute ist es ein Hobby, das ich engagiert betreibe. (Um dessen ökologische Problematik als Hallensport weiß ich sehr wohl, was hier durchaus eine aktuell nicht lösbare Widersprüchlichkeit mit sich bringt.)

Darüber hinaus betreibe ich regelmäßiges Fahrradtraining in Form von Radwandern und ebenso im Erledigen vieler Be- und Entsorgungsfahrten mit dem Fahrrad, wofür die meisten meiner Mitmenschen ein Auto verwenden.

Auch hier erschließt sich der Sinn und Zweck nicht unmittelbar. Einerseits entdeckte ich das Radfahren in meiner Unfall-Rehabilitation vor 31 Jahren wieder - kurz vor meinem Einstieg in den organisierten Tischtennissport. Beide Sportbereiche kommen meinen verbliebenen Invaliditätsfolgen entgegen und bringen bei verantwortlichem Betreiben ein relativ geringes Verletzungsrisiko bei guten Auswirkungen auf die eigene Gesamtkondition wie auch -koordination mit sich. Außerdem  geben sie mir deutlich Rückmeldung über meine Verfassung, in der ich mich befinde. Sie helfen auch dabei, mein Gewicht im Zaum zu halten, das bei mir immer droht, nach oben hin auszuufern. Doch für beide Sportarten brauche ich einen guten Gesamtzustand von Körper, Aufmerksamkeit und Kordination. Es geht also vorrangig nicht nur um ein ökologisches Projekt, das es aber als zusätzliche Motivation wirkt, in diesen Bereichen regelmäßig aktiv zu sein und ihnen treu zu bleiben.

Ich engagiere mich für ein tägliches Zusatzheizen mit Holz, wodurch gut 25% unseres Gesamtbedarfs an Raumheizung und Warmwasserbereitung abgedeckt werden. Zwar steht diese Art des Heizens nicht im besten Ruf wegen damit verbundenen Feinstaubs wie auch unsauberer Abgase, doch kann ich positiv Einfluss nehmen durch beste Holzqualität, Brand mit ausreichend Hitze und Sauerstoffzufuhr und den Verzicht auf jegliche Verwendung von verunreinigtem Anfeuer- und Brennmaterial. Dass meine Feuerung relativ sauber arbeitet, sehe ich an heller Asche mit vollständiger Verbrennung und an einer Beschränkung der Verschmutzung im Kamin auf ca. 20 Hände voll im Laufe eines gesamten Jahres mit durchschittlich 100 Feuerungstagen. Das ist aufwändig, schafft aber auch eine gewisse Übung in echter Unabhängigkeit vom scheinbar immer vorhandenen Erdgasstrom für die eigene Zentralheizung.

In gleicher Weise erstrebe ich noch eine ähnliche Unabhängigkeit in Sachen Zusatzversorgung durch eigene Stromerzeugung aus regenerativen Quellen, vorzugsweise aus Sonnenenergie.

Während der vergangenen letzten fünf Jahre habe ich mein öffentliches Engagement im Rahmen von Spenden, Petitionen, Teilnahme an Demonstrationen und nicht zuletzt durch das Verfassen eigener Blog-Artikel verstärkt. Ich zeige mich öffentlich und mache mich damit einerseits angreifbar - andererseits suche ich aber auch Resonanz und Gedankenaustausch in und außerhalb meiner privaten Lebensumwelt.

Letztlich geht es mir dabei um das zunehmend erfolgreiche Gestalten eines enkeltauglichen Lebensstils, den ich nicht nur mit der Zunge führen will, sondern vor allem im Alltag verwirklichen möchte. Das ist aufwändig, oft widersprüchlich und führt auch zu vielen Reibungspunkten innerhalb meiner Lebensumgebung. Es macht allerdings Freude, eigene Fortschritte zu bemerken und sich in dieser Richtung erfolgreich weiter zu entwickeln.

 

 

Wie ein sakrales Kunstwerk wirken diese beiden Verschluss-Vorrichtungen an Erdgasleitungen nahe Emden.

 

Mut zur Utopie gehört für mich dazu - ich suche nicht nur nach dem, was sich rasch und leicht umsetzen lässt. Die aktuelle Protestbewegung gegen die Braunkohlewirtschaft sehe ich hier als gutes Beispiel an:

Die Energiekonzerne unternehmen sicher nicht von sich aus etwas zur Beendigung ihres umweltschädlichen Engagements. Die gesetzgebenden Organe unterstützen durch ihr Verhalten eher noch dieses ungute Treiben. Somit kann nur offen gezeigtes bürgerschaftliches Engagement ein Umdenken forcieren und eventuell auch früher bewirken, als dies sonst der Fall wäre. Klar gibt es keine Garantien für Erfolg und Gelingen solchen privaten Einsatzes - Alternativen dazu gibt es im Rahmen der vorliegenden Grundstrukturen keine, wenn man wie ich von der Notwendigkeit eines raschen Ausstieges überzeugt ist wie ich. Außerdem sind vorgetragene Argumente der Energiekonzerne und Regierungen über die 'Alternativlosigkeit' der Nutzung dieser schmutzigen Energienutzung wenig überzeugend, die behaupten, man könne noch lange nicht ohne diese auskommen.

 

Dann gibt es auch noch Einsatz als Großvater für die Enkel, die die unmittelbare Nähe von Oma und Opa an ihrem Haus zu schätzen wissen. Tochter und Schwiegersohn sind über manche Entlastung dankbar, die ihnen zusätzliche Freiheiten und Möglichkeiten bietet.

Außerdem habe ich noch Haus mit Garten sowie ein kleines altes Wohnmobil, das ich einmal jährlich gerne als persönliches Basislager für Fahrradtouren und Wanderungen - vorwiegend im norwegischen Bergland - nutze.

Ganz wesentlich: Ich lebe in einer festen Lebenspartnerschaft mit einem gemeinsamen Haushalt. Dabei räumen wir uns neben den gemeinsamen Lebensanteilen auch größere Freiräume für Bereiche ein, in denen der eine für die Bedürfnisse und Wünsche des anderen weniger passend ist als andere.

 

Soweit grob umrissen meine aktuelle Situation, von der aus mein Blick in die Zukunft gerichtet werden soll.

Ich kann nicht umhin, mich als Stier hier noch einmal an den Hörnern zu packen:

Ich lebe als solcher auf einer saftigen Weide, wo ich materiell sehr gut versorgt bin. Ich habe mich in diesem Umfeld gut eingerichtet und nutze es als schöne Lebensumgebung, die ich durchaus auch genieße. Meine Neigung, von meinem 'Material' abzugeben an Bedürftige, ist in den letzten Jahren gewachsen, aber ich strebe auch deutlich nach Erhalt meines 'gewonnenen' Lebensstandards. Haus, Auto und vielerlei Einrichtungs- bzw. Ausrüstungsgegenstände als Besitz haben weiterhin ihren festen Platz in meinem aktuellen Lebensalltag.

Mit viel weniger auszukommen und mein Leben erheblich zu verschlanken im Sinne von vereinfachen, kommt mir noch nicht so ernsthaft in den Sinn, dass ich zur Umsetzung dränge, wie es eine ökologische Lebensführung ganz klar vorgibt, von der ich behaupte, dass ich sie ernsthaft anstrebe und verwirklichen will. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier noch Welten. 

 

Hier bremst ganz klar auch mein Umfeld und meine Familie, die ja alle in einem gutbürgerlichen Lebensstil sozialisiert wurden. Ein minimalistischer Lebensstil wäre ja geradezu Verrat an diesem gesellschaftlichen Umfeld, das sich in seiner Existenz durch mich herabgewürdigt und auch bedroht sehen würde - im Sinne von 'unter Druck gesetzt'.

Erdgas wird abgefackelt nahe Greetsiel  an der Nordseeküste

 

BLICK IN MEINE ZUKUNFT

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 Ich habe auf jeden Fall Dispositionen, Grundeinstellungen, Erbgut mit in dieses Dasein mit hinein gebracht. Hinzu kommen meine Erfahrungen und meine auch weiterhin laufende Ausbildung zum Menschen.

Die Brillen meiner mitgebrachten Voreinstellungen lassen mich vorrangig in bestimmte Lieblingsrichtungen sehen. Ich bin Besitzer, Genießer, Geduldiger, Ausdauernder, Gewohnheitstier, auch manchmal stur und wenig flexibel. Meine aktuellen Aktivitäten sind diesen Stärken bzw. Schwächen geschuldet, an denen ich teilweise leidenschaftlich festhalte.

Das zeichnet für meine Zukunft so manches vor: So darf ich nicht erwarten, dass mein Projekt 'ökologische Lebensführung' rasch umgesetzt ist, weil es von innen wie auch von außen her starke Widerstandskräfte gibt, die meinen geistigen Drang in diese Richtung erheblich abbremsen.

 

Da sind in mir Strukturen mit sich widersprechenden Interessen. Die miteinander zu versöhnen ist die hohe Kunst, ohne die eine ökologische Lebensführung kaum erfolgreich einzurichten ist. Ein Menschenleben genügt bei dem bisherigen Entwicklungstempo und bei meiner vorhandenen Lebensumgebung wohl kaum, um dieses Vorhaben abschließen zu können.

Ich könnte auch sagen: Ich versuche wohl das Richtige, aber am falschen Ort zur falschen Zeit. Doch immerhin stellen sich ähnliche Aufgaben vielen Menschen genau hier und jetzt. Es hat also irgendwie doch einen Sinn, aktuell hier an diesen Aufgaben zu arbeiten. Wir Alten haben viel wieder gerade zu rücken und die Jungen, die ungünstig sozialisiert wurden ebenso. Die ganz Jungen werden ebenso noch verdorben und werden aber schon vieles besser, d. h. passender erlernen als die Älteren. Doch wir alle unterliegen den bestehenden, unguten Mega-Strukturen, die uns in einer anti-ökologischen Lebensweise verstrickt und gefangen halten.

Im Idealfalle kehren wir um in eine indigene Form des Lebens, in der wir uns auf geistig-sozial hohem Niveau im Einklang mit unserer Mitwelt entfalten. Ich teile keinesfalls die bevorzugte Mehrheitsmeinung, dass es sich dabei grundsätzlich um 'unterentwickelte' Kulturen handelt. Immerhin betreiben diese Menschen seit Jahrtausenden gelingenden Umweltschutz, was uns im Gegensatz dazu in den vergangenen Jahrhunderten immer weniger gelungen ist.

 

 

Eine Betrachtung meines Lebens als alternder Mensch schließt grundsätzlich die Frage mit ein, was denn typisch für das Altern ist und wie es sich damit lebt. Wo liegen Möglichkeiten und wo typische Probleme?

Das Bild vom sich schließenden Lebenskreis legt es auch nahe, diesen Lebensabschnitt mit dem des Kindseins zu vergleichen, wo viele Fähigkeiten noch nicht entwickelt sind. Während bei Kindern dann eine Aufwärtsbewegung im Körperlichen, Sozialen und Geistigen zu beobachten ist, geht man beim Altern als einer Zeit des Verfalls - also von einer Abwärtsbewegung aus.

Als Spätentwickler habe ich mich im Kindesalter durchaus wie eine Art von Mensch im Ruhestand empfunden: Vieles konnte ich nicht oder durfte ich auch nicht. Vieles traute ich mir nicht zu und sah mich wenig motiviert, zielstrebig an Dingen zu arbeiten, wie man das von Heranwachsenden in aller Regel erwartet. Ich richtete mich in einer sicheren, materiell gut versorgten Kindheitswelt ein. So hielt ich das offensichtlich für richtig - zumindest aber als passend für mich.

Heute sehe ich mich als alternder Mensch eher in einer Art von Aufbruchsphase, wie man sie eher bei jüngeren Menschen erwartet. Ich bin bereit, mich körperlich, geistig und sozial einzusetzen und sehe auch Aufgaben vor mir, von denen ich noch nicht weiß, ob und wie ich sie bewältigen kann.

Alter zeigt sich bei mir hier als recht relativ. Vom Lebensalter in Jahren, das auch als soziales Alter gesehen wird, lebe ich im Ruhestand und man hält es für typisch, dass ich mich mit guter Pension als veritabler Konsument zeige - mit einem gut ausgestatteten Mittelklasse-PKW, Kreuzfahrten, Flugreisen, umfangreicher fachmedizinischer Begleitung, teuren Hobbies, Besuch von Groß-Events und dergleichen. 

Doch nichts dergleichen reizt mich wirklich. Ich fahre lieber Rad, setze mich den Zumutungen eines organisierten Sportbetriebes aus und betreibe im eigenen Haushalt eine Öko-Entwicklung. Ich beteilige mich an Petitionen, schreibe an Entscheidungsträger und nehme an Demonstrationen für meine Entwicklungsziele teil.

Insofern darf ich mich gerade in einer Art von angestrebtem Erwachsenwerden betrachten - eher in einer Art von Pubertät, die ernsthaft und verantwortungsvoll bestimmte Richtungen anstrebt. Das wäre dann auch eine Art von Verortung meiner selbst in den letzten Jahren im Lebenskreis.

Demnach sehe ich dann auch noch eine ganze Reihe von Jahren vor mir, in denen ich auch noch etwas erwarte, an Realität zu gewinnen. Ich will noch etwas verwirklichen, obwohl ich durchaus ebenso sehe, dass das zunehmend schwieriger für mich wird. Meine Fähigkeiten lassen spürbar nach und ich sehe auch, dass ich ja immer unwesentlicher oder unbedeutender im eigenen Umfeld werde. Gleichzeitig freue ich mich ja auch über dessen Fortschritte und darüber, dass ich nicht mehr so unverzichtbar wie früher bin. Ich genieße also auch die Freiheit, die mit diesem Lebensabschnitt verbunden ist.

Meine besondere Verbundenheit mit Körpersportarten ist wohl auch dem schweren Verkehrsunfall vor 32 Jahren und seinen Folgen für meinen Bewegungsapparat geschuldet, was mit 5 Jahren Rehabilitationsarbeit verbunden war. Die für mich absurd erscheinenden ärztlichen Aussagen, 

- nach einem halben Jahr sei alles vergessen,

- es gebe ein Alter, da müsse man überlegen, ob man nicht mit dem Sport aufhören sollte (ich war damals 35 Jahre alt),

- mit 50 Jahren würde ich ohnehin im Rollstuhl sitzen,

fanden ausnahmslos keine Akzeptanz bei mir. Ich betrieb fünf Jahre lang professionell begleitete Krankengymnastik - stationär und ambulant - und holte auf diese Weise ein Maximum an Beweglichkeit und Koordination aus meinem geschundenen Körper wieder heraus. Das Erreichte wollte ich auch stabilisieren und somit auch in meinem fortschreitenden Leben möglichst gut bewahren.

Soviel zu den ärztlichen Aussagen:

- Wegen der schwerwiegenden Invaliditätsfolgen durch Muskelverlust, Kalkeinlagerungen in der Muskulatur und durch bleibende Bewegungseinschränkungen mit andauerndem Sturzrisiko gibt es nichts zu vergessen. Ich muss zu Fuß stets besonders aufmerksam sein, um nicht hinzufallen.

- Ohne intensiven und vielseitigen Sport - damals lange begleitet und heute selbst betrieben - wäre ich niemals auch nur annähernd wieder körperlich in einen guten Zustand gekommen. Der Rat, damit aufzuhören war einfach nur kontraproduktiv und zeugt nur von einer sehr eingeschränkten Kenntnis des Arztes von diesem Bereich.

- Ich habe meine körperliche Gesamtverfassung im Rahmen der natürlichen Alterung ganz brauchbar erhalten können - mit regelmäßiger, intensiver körperlicher Belastung. Von einer baldigen Bindung an einen Rollstuhl ist nichts in Aussicht. Im Gegenteil: Ich bewege mich immer mehr in Barfußschuhen fort und beginne auch, Sport damit zu betreiben. Alles unnatürlich Stützende lege ich zunehmend ab, weil es einfach nicht nötig für mich ist.

Mich hat der Einsatz der Therapeut(inn)en vor 32 Jahren in Norwegen zu dieser Vorgehensweise motiviert: Sie schafften es zu zweit mit täglich einer Stunde intensiven Trainings mit mir - kaum hatte ich die Intensivstation verlassen - dass ich es binnen einer Woche wagte und bewältigte, mich frei an Krücken im Raum zu bewegen, obwohl meine komplizierten Brüche durch einen Sturz wieder aufgebrochen wären. Ich lernte, das 'Unmögliche' zu versuchen und zu schaffen. Wenn sogar das in dieser frühen Zeit nach dem Unfall möglich für mich war: Warum dann nicht auch in der Zukunft viel weiter kommen, als es mir die Ärzte prophezeit hatten? 

Da findet er sich wieder, der Stier: Ich wollte damals die schwarze Sicht der Fachleute in Bezug auf meine körperlichen Möglichkeiten nicht akzeptieren, die mir mit 35 Jahren als jungem Familienvater und Lehrer mit Sportunterricht ein jähes Ende meines Bewegungsapparates für den gewöhnlichen Alltagsgebrauch zugesprochen hatten.

Als Wesen, dass in einer schönen Welt leben wollte, sah ich auch einen möglichst gesunden Körper als Vorbedingung für ein schönes Leben in einer schönen Welt an. Ich wollte sie doch selbst und nicht nur mit besonderen Hilfen erleben und meine Aufgaben in ihr bewältigen. 

Ich zeigte mich damals und heute als widerständisch gegen 'Autoritäten' und ihren Aussagen über mich. Was für mich gelten sollte, darüber wollte ich ein ganz entscheidendes Wort mitreden können. Damals war das hier eine ganz entscheidende Besserung meiner körperlichen Situation - und wenn sie eben Jahre benötigen wurde. Dafür war ich bereit, viele Plagen auf mich zu nehmen und ich habe das niemals bereut.

 

Wer mein körperliches Treiben als nicht altersgemäß sehen kann, dem seien diese Informationen eine Erklärung. Ohne den Unfall wäre wohl vieles körperlich ungünstiger für mich verlaufen, denn wer einmal erleben muss, wie rasch umfassende körperliche Invalidität gehen kann, der schätzt die Möglichkeiten des Bewegungsapparates danach wesentlich höher ein als jeder, der sie als Selbstverständlichkeit für sich betrachtet wie ich vor diesem Unglück auch. Ich habe damit übrigens auch etwas von der Körperverrücktheit vieler Physiotherapeuten angenommen, die ich im Laufe meiner vielen Reha-Maßnahmen kennenlernen durfte. Sie hat mir damals weitergeholfen. 

In jungen Jahren habe ich meinen Körper erst relativ spät entwickelt und erprobt. Dabei stand vor allem Spaß und der Wunsch nach Gruppenkontakten im Vordergrund. Daraus wurde später ganz 'ernst' das Verlangen, das Erreichte und Angewandte wieder zurück zu gewinnen und darüber auch in Zukunft verfügen zu können.

Für meine Zukunft wird darum auch dieser Teil meines Lebens mehr im Vordergrund stehen als bei sehr vielen anderen Mitmenschen. Der Rückzug ins Soziale und Geistige, wie er in meinem Alter bei denen mehr als bei mir stattfinden dürfte, hat bei mir voraussichtlich noch Zeit. Ich bin noch körperverrückt und möchte dessen Vorzüge noch gründlich auskosten dürfen. Viel körperliche Betätigung, Rad- und Tischtennissport sowie auch selbst organisierte Sporturlaube mit Wohnmobil dürften also noch eine Zeitlang zu mir gehören.

Sollte dies noch lange der Fall sein, ist auch ein plötzliches Ende bei solcher Betätigung nicht auszuschließen, da meine Unternehmungen höhere Ansprüche an meine Kondition und Koordination stellen. 'Dumme' Fehler können da leicht böse ausgehen. Die mit meinen Aktivitäten verbundenen Risiken werden schließlich mit Fortschreiten des körperlichen Alterungsprozesses relativ immer größer. Es gilt, sie angemessen, d. h. treffend einzuschätzen. Kleine Wunden werden häufiger und auch ein Abflug über den eigenen Lenker durch eine kleine Fehleinschätzung nach langer Tour vor zwei Jahren zeugen von dieser Problematik.

 

Der Verfall kommt auf jeden Fall. Auf welche Weise? Das lässt sich auch für mich nicht klar voraussagen. Wohl weiß ich, dass ich bis ins hohe Alter geistig und körperlich rege bleiben will - eingebettet in ein lebendiges mitmenschliches Gefüge, das auch Wert auf den Erhalt der Lebensressourcen von sich selbst und in dieser Welt legt.

Es bietet sich an, meine Fähigkeiten politisch und mitmenschlich einzusetzen. Als jüngerer Alter kann ich Älteren beistehen, die heute Hilfe benötigen. Ich will es später nicht unbedingt meinen Kindern anlasten, mich als Alten zu stützen und zu pflegen, wenn ich nicht mehr ordentlich für mich selbst sorgen kann. Als mich auf solche Art und Weise Verschenkender habe ich berechtigtere Hoffnung, später auch solche Art von Hilfe erwarten zu können, als es ohne einen derartigen Einsatz gerechtfertigt wäre.

Sicher käme ich später lieber ohne solche Begleitung aus, aber das Bild vom Lebenskreis regt dazu an, mich darauf zu besinnen, dass das Alter auch eine Rückkehr in kindliche Wahrnehmungsmuster und -möglichkeiten bedeuten kann. Es ist in Vielem dem Kindesalter ähnlich: Die Sinne lassen nach, auch das eigene Wahrnehmungsvermögen. Vieles wird so nicht mehr angemessen eingeschätzt und bewältigt - ganz wie bei Kindern, die in elterlichem Schutz aufwachsen. Es wäre dumm zu glauben, diese Möglichkeit ganz für sich ausschließen zu können. Nur Unfalltod oder Freitod würden das sicher ermöglichen. Doch Kinder töten sich in aller Regel nicht selbst, weil sie vieles aus eigener Kraft nicht bewältigen. Und jeder Erwachsene hat ja auch persönliche, körperliche, wirtschaftliche und soziale Grenzen, die er sich nicht so hat aussuchen können. Deswegen aus dem Leben gehen? Wozu?

Versuchen wir doch stets aufs Neue das 'Unmögliche' und hoffen darauf, dass wir alles Wesentliche stets für uns erreichen können - ob mit oder ohne fremde Hilfe! In unendlich vielen Fällen nehmen wir ohnehin all die Hilfe nicht wahr, die uns durch das Wirken anderer bereits heute und schon immer im Alltag stets aufs Neue zuteil wird und wurde. Warum also nicht auch im hohen Alter?

 

Was ich mir in der Unfall-Reha so mühevoll zurück erarbeitet habe: Es wird wieder verloren gehen. Das gesamte Leben ist nur geliehene Zeit in einem geliehenen Körper, in einer geliehenen Lebensumgebung, mit geliehenen Mitmenschen. Das ist der Lauf der Welt und des Lebens, dem wir seit Menschengedenken ausgesetzt und unterworfen sind. Alle Hochtechnologie hat daran nichts ändern können.

Mir erscheint der Gedanke tröstlich, möglicherweise erneut in ein solches Leben eintreten zu können - mit geistig-seelischen Voraussetzungen, die auf mein bisheriges (meine bisherigen) Leben zurückgehen - in eine Welt, die in ihrem Zustand ebenfalls auch auf mein Wirken zurückzuführen ist - dann allerdings in einem neuen geliehenen Körper mit neuen Möglichkeiten.

Sich das als Mensch stets aufs Neue erarbeiten zu müssen, könnte unser aller Schicksal sein und unsere ureigene 'Geschäftsidee', mit der wir in unser (jeweiliges?) Leben eintreten. Hoffen wir dabei auf ein gütiges und gnädiges Schicksal - alle die nicht vergessend, denen dies offenbar nicht gegönnt zu sein scheint. Werden wir uns gegenseitig achtende Wesen, die trotz aller Unterschiede gerne miteinander kooperieren und eine gute Lebenszeit gestalten wollen und können! Darauf hoffe ich für die Zukunft.

 

 

 

Entspannung in der Sonne nach einer langen Radtour durch Ostfriesland

 

 

Während unsere vorherrschende Kultur dazu neigt, 'alles' in dieses eine Leben 'hineinpacken' zu wollen - so verlangt es das Bild vom Helden und Sieger - kann ein Mensch, der sich an Menschheitsweisheit orientiert, mit dem Gedanken anfreunden, dass mit diesem Leben nicht alles zu Ende für ihn/sie ist. Sie oder er kann darauf hoffen, in einem weiteren Leben dort anknüpfen zu können, wo das alte, unfertige Leben aufhörte. 

Ein Leben ist für sie oder ihn nicht 'alles', sondern nur ein Teil davon.